
Wir, einige Frauen/Lesben, haben heute
einen Teil des Films: Sommer der Liebe vorläufig ausgeliehen. Damit
wollen wir verhindern, dass dieser Film weiterhin im Kino Lumiere gezeigt
wird. Die angeblich „schrägste Hommage (!) an die Flower-Power-70er Jahre"
ist ein schlechter, pubertärer, sexistischer, brutaler, rassistischer
und dummer Film. Wir akzeptieren kein pseudosatirisches Spiel mit Bildern,
die eine knallharte Realität widerspiegeln. Diese Form von sexistischer
und rassistischer Gewalt ist heute genauso aktuell wie in den 70ern. Das
vorHERRschende Frauenbild in Sommer der Liebe ist das Bild vom
„naiven Dummchen", das den frauenfeindlichen Sprüchen der Männer aufsitzt
und sich in der Rolle als Lustobjekt und Anhängsel angeblich wohlfühlt.
Wir finden es nicht witzig, wenn eine Frau von einem Mann in einem Auto
mitgenommen wird, sie vor seiner direkten Anmache in den Wald flüchtet
und von ihm verfolgt wird. Es hat mit Satire nichts zu tun, wenn in der
nächsten Filmsequenz eben diese Frau zerstückelt aufgefunden wird und
anschließend, zu Grillwürstchen verarbeitet, verteilt wird.
Eine andere Szene besteht in der Darstellung eines schwarz angemalten
Weißen, der mit einem überdimensionalen Schwanz (Phallus) und einem Baströckchen
ausgestattet ist. Um ihn herum sitzen kichernde Frauen, die sich über
den „Neger" amüsieren. (Zitat: „Schau mal, ein Neger" oder später „Ich
schwitze wie zehn Neger").
Diese zwei Szenen sind beispielhaft für den Charakter des ganzen Films.
Wir verlangen von einem Kino wie dem Lumiere, das sich immer wieder explizit
von der platten und unkritischen Filmauswahl der kommerziellen Kinos absetzt,
sich selbst als politisch-aufklärend versteht, dass dort solche Film nicht
gezeigt werden. Es ist nicht das erste Mal, dass im Lumiere derartig sexistische
Filme gezeigt werden. Scheinbar haben all die Diskussionen, die mit den
Verantwortlichen geführt wurden, nichts an den Auswahlkriterien geändert.
Deshalb sehen wir uns genötigt, selbst zu handeln. DIE WILDEN SPULEN (II)
Danken,
„einige Frauen/Lesben"
alias „Die wilden Spulen (II)", wollen
wir Euch doch noch unbedingt dafür, dass Ihr eine Rolle des Films „Sommer
der Liebe" von Wenzel Storch aus dem Kino „Lumiere" in Göttingen entwendet,
nach ein paar Tagen aber wieder zurückgegeben habt. Und zwar mit einer
„Erklärung", die so geht: „Wir akzeptieren kein pseudosatirisches Spiel
mit Bildern, die eine knallharte Realität widerspiegeln." Keine Frage,
eine Realität, in der am Schluß die männliche Hauptfigur, ein gewisser
Oleander alias Conny Kramer, zugrundegeht, wonach dem Leichnam die Beine
abgesägt werden, damit er sich besser in einem Römertopf bestatten lässt,
hat nichts Widerspiegelnswertes. „Diese Form der Gewalt ist heute genauso
aktuell wie in den 70ern." Eben. Wir Conny Kramers dieser Welt können
ein Lied davon singen... Danken möchten wir aber auch dafür, dass Ihr
uns noch einmal die Möglichkeit gebt, für diesen wirklich ausgezeichneten
„schlechten, pubertären, sexistischen, brutalen, rassistischen und dummen
Film" die Werbetrommel zu rühren. Herr Storch bedankt sich übrigens
auch. Nach langem, vergeblichem Suchen hat er nämlich den Stoff für
seinen nächsten Film über die 90er gefunden: Eine Bande äußerst hibbeliger,
permanent aufgeregter und ziemlich abgedrehter Frauen/Lesben klaut einen
Film, erpresst die Kino-Besitzer, macht es total spannend und gibt den
Film am Ende zurück (große Idee: Schließfach des Hauptbahnhofs!). Dazwischen
wird viel gestrickt, Tee getrunken, sich lieb gehabt, Brigitte gelesen,
Haare gefärbt, Nasenlöcher gepierct, gegen Sexismus und Menstruation
gewettert, `rumgealbert, auf Demos rumgegangen, viel gelacht und in
den Arm genommen. Total überraschender Schluß: Nach der spannenden Filmrückgabe
heiraten alle. Und zwar die Frauen die Lesben bzw. umgekehrt. Die Kinder
kriegen sie dann im zweiten Teil. Begeistert? Wir schon: Einige Männer/Schuhgröße-43-Träger
auf der
Titanic
die tageszeitung,
13.10.1994: |
„Wir werden Euch genau
beobachten"
Wegen Sexismus, Rassismus, Faschismus
und so weiter klauten die „Wilden Spulen II", eine autonome Göttinger
Lesbengruppe, einen Akt von Wenzel Storchs Film „Sommer der Liebe". Mit
einer der „Wilden Spulen" sprach Marian Niroumand
Unsere Gesprächspartnerin wollte ihren
Namen nicht nennen.
Was genau hat Euch so an
Wenzel Storchs „Sommer der Liebe" gestört?
Man sieht darin zum Beispiel, wie eine
Hetzjagd auf eine Frau verübt wird, die durch den Wald läuft und später
zu Würstchen verarbeitet wird. Außerdem ist da ein Weißer, der schwarz
angemalt ist und als „Neger" angesprochen wird. Der Film ist einfach nur
total blöd, und wir finden eben, dass solche Filme nicht laufen müssen,
und schon gar nicht in so einem Kino.
Gehört das „Lumiere" nicht
so ein bißchen zu Eurer neighbourhood, schadet Ihr da nicht der eigenen
Seite?
Deshalb sind die Spulen ja auch zurückgegeben
und nicht vernichtet worden. Aber das Argument, man wollte doch bloß diskutieren,
zieht eben nicht: Zum Diskutieren von Gewalt gegen Frauen war die Spule
nicht nötig. Gerade in einem Kino mit Anspruch und mittellinkem Publikum
darf es so etwas einfach nicht geben.
Ihr traut den Mittellinken
nicht zu, dass sie sich im Griff haben? Hast du denn schon mal erlebt,
dass Filme eine dermaßen starke Wirkung ausüben?
Persönlich habe ich keine Erfahrung
damit, aber da gibt es Untersuchungen. Es ist zu gefährlich, diese Sachen
einfach so zu zeigen. Man steigert einfach die Gewaltbereitschaft.
Welche Filme zeigen Frauen
auf eine Art, die Ihr OK findet?
Wir finden zum Beispiel „Komplizinnen"
gut, ein Film aus der autonomen Szene über Szenefrauen, die sich eben
auch gegen Gewalt wehren, die so zwischen zwanzig und dreißig sind, die
arbeiten, studieren und leben. Ein anderer Film, den wir mochten, war
„Das Leben ist eine Frau" aus Kasachstan, über eine Frau, die in den Knast
kommt, weil sie ihren Mann erschlagen hat, der brutal zu ihr war.
Wie geht es weiter? Was sind
die nächsten Aktionen?
Das werde ich Dir jetzt natürlich nicht
sagen. Du kannst aber sicher sein, dass wir die Sache im Auge behalten
werden.
Aus dem Bekennerinnen-Schreiben
Nr. 2:
Aufgrund der Zusicherung, dass
der Film Sommer der Liebe nicht mehr gezeigt wird, geben wir die
Filmrolle früher als geplant zurück.
Wir gehen davon aus, dass Ihr unsere Warnung ernstnehmt und umsetzt und
in Zukunft sofort mit Kritik aus dem Publikum umgeht.
Wenn sich keine grundsätzliche Veränderung Eueres Bewusstseins in Eurer
Filmauswahl widerspiegelt, sehen wir uns gezwungen, auch weiterhin Filmrollen
zu entwenden.
Ihr könnt davon ausgehen, dass Ihr dann diese Filmrollen nie wiedersehen
werdet.
Sommer der Liebe befindet sich im Schließfach am Hauptbahnhof,
Göttingen. Schlüssel liegt bei.
Wir werden Euch weiterhin beobachten. Die Wilden Spulen (II)
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